Anspruch auf Urlaub bei Erwerbsunfähigkeit auf Zeit

Der Bezug von Zeitrente wegen Erwerbsminderung hindert das Entstehen des Urlaubsanspruchs nicht. Es entsteht Jahr für Jahr der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch und der gesetzliche Zusatzurlaub für schwer-behinderte Menschen. Der Urlaubsanspruch verfällt nicht mit Ablauf des Übertragungszeitraums des § 7 Absatz 3 Bundesurlaubsgesetz.

Der lange Jahre im öffentlichen Dienst beschäftigte schwerbehinderte Arbeit-nehmer war seit 2004 arbeitsunfähig krank. Ab November 2004 wurde ihm rückwirkend zunächst befristet eine volle Rente wegen Erwerbsminderung bewilligt – letztendlich bis zum 31.07.2009. Danach erhielt er eine Dauerrente und schied mit Ablauf des 31.03.2009 aus dem Arbeitsverhältnis aus. In diesem Rechtsstreit hat der Kläger für die Jahre 2005 bis zu seinem Ausscheiden 2009 den gesetzlichen, teilweise auch den tariflichen Urlaub und den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte begehrt. Das Arbeitsgericht Kiel hat die Zahlungsklage abgewiesen, vor dem Landesarbeitsgericht war der Kläger fast in vollem Umfang erfolgreich. Nur der für 2009 beanspruchte, über das Gesetz hinaus-gehende zusätzliche Tarifurlaub wurde mit Hinweis auf § 26 Absatz 2c TVöD nicht zugesprochen.

Solange der Gesetzgeber keine ausdrückliche Vorschrift geschaffen habe, dass dem Arbeitnehmer für den Zeitraum des Bezugs einer befristeten Erwerbs-minderungsrente der Erholungsurlaub gekürzt werden könne, entstehe der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz und auch der gesetzliche Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen. Wenn er nur wegen der befristeten vollen Erwerbsunfähigkeit nicht genommen werden könne, verfalle dieser Urlaubsanspruch auch nicht zum 31.03. des jeweiligen Folgejahres. Die Ansprüche seien zudem nicht ganz oder teilweise verjährt. Der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist beginne nicht in dem jeweiligen Urlaubsjahr, in dem die Ansprüche entstehen, sondern erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Rechtspolitische Bedenken an dem gefundenen Ergebnis könne nicht die Rechtsprechung auflösen. Vielmehr müsse der nationale Gesetzgeber aktiv werden.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat sich mit diesem Urteil zu der derzeit in der Arbeitsgerichtsbarkeit höchst strittigen Frage erstmals positioniert und auf Handlungsbedarf für den Gesetzgeber verwiesen. Es hat die Revision zugelassen. Ein Aktenzeichen des Revisionsverfahrens beim Bundesarbeitsgericht ist noch nicht bekannt. Dort sind bereits mehrere gleichgelagerte Rechts-streitigkeiten aus anderen Landesarbeitsgerichtsbezirken mit unterschiedlichen Ergebnissen und Begründungen anhängig.

 

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein vom 16.12.2010 – 4 Sa 209/10 –

Beschäftigte behalten Urlaubsanspruch

[20.09.2010]

 

Arbeitnehmer, die eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit bekommen und deren Arbeitsverhältnis ruht, haben dennoch Anspruch auf Urlaub. Können sie ihren Urlaub wegen der Dauererkrankung nicht nehmen, muss der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszahlen, wie das Landesarbeitsgericht in Baden-Württemberg entschied (Az. 11 Sa 64/09).

 

Die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Unverfallbarkeit von Urlaubsansprüchen gilt für Bezieher einer Erwerbsunfähigkeitsrente genau so wie für dauerhaft arbeitsunfähige Arbeitnehmer.

Der schwerbehinderten Arbeitnehmerin sprachen die Richter nicht nur den gesetzlichen Mindesturlaub, sondern auch die während ihrer Erwerbsunfähigkeit aufgelaufenen zusätzlichen Urlaubstage für Schwerbehinderte zu. Insgesamt musste der Arbeitgeber damit den Lohn für 106 Urlaubstage auszahlen.

 

Im konkreten Fall endet das Arbeitsverhältnis der Klägerin am 31.3.2009. Sie bezog jedoch bereits seit Ende 2004 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit. Der Arbeitgeber hatte die Abgeltung von Urlaubsansprüchen mit der Begründung abgelehnt, dass während des ruhenden Arbeitsverhältnisses gar kein Urlaubsanspruch entstanden sei.

 

 

Die Richter führten demgegenüber aus, dass in einem ruhenden Arbeitsverhältnis nur die Hauptpflichten der Vertragspartner, also die Arbeit- und Vergütungspflichten, ruhen, nicht jedoch die Nebenpflichten. Zu diesen zählt die Gewährung des gesetzlich vorgeschriebenen Urlaubs durch den Arbeitgeber. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer überhaupt gearbeitet hat.